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Highway to Kilimanjaro

Vorwort:

 

Die Tour habe ich mit etwas gemischten Gefühlen begonnen, da ich von verschiedenen Seiten gehört habe, dass die Besteigung recht frequentiert und technisch nicht anspruchsvoll ist. Ich bevorzuge Abgeschiedenheit und Exklusivität und bin ungern einer von vielen. Gleichzeitig ist es der höchste Berg Afrikas und einer der 7 Summits. Die 5.895m müssen erstmal bestiegen werden - so einfach, dass es für jeden machbar ist, kann es nicht sein.

 

Meine Erkenntnis nach der Tour

Die Wanderung führt einen durch verschiedenste Klimazonen, von Tropenwald, über Moorland, bis hin zu alpiner Wüste. Wir hatten extreme Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit, Hagel, Schnee und trockene Kälte. Die Gipfelbesteigung als solche ist eine körperliche Höchstleistung und man fordert nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Geist stark heraus (#Resilienz). Auch Teamgeist und das soziale Miteinander spielen eine große Rolle bei der Tour. Wer diese Aspekte zu schätzen weiß, wird hier auf seine Kosten kommen.

Wem es mehr um Ruhe und Besinnung geht und um den Wanderweg als solchen, so wie auch die Weiterentwicklung seiner technischen Skills, der wird hier nicht glücklich.

 

Reisebericht:

 

Es geht los, die Kilimanjaro Tour beginnt. Um 6:30h gibt es Frühstück, um 8:15h muss das Gepäck fertig draußen stehen und pünktlich um 9:00h fährt unser Bus ab. Wer noch Equipment benötigt, kann das gegen Gebühr mieten. Glücklicherweise habe ich über die letzten Jahre hinweg einen halben Globetrotter-Store zusammengesammelt und bin bis hin zum Expeditionsschlafsack bestens ausgestattet. Alles Gepäck wird gewogen und es wird genau dokumentiert. Schließlich muss geschaut werden, dass alle Porter später in etwa gleich viel Gewicht tragen und nie mehr als 20kg. 

 

Das Welcome Meeting

Beim Welcome Meeting am Vorabend rät man uns dringend an, ab sofort die Malaria Tabletten abzusetzen, da es dem Körper Energie nimmt, es sich außerdem nicht gut mit der Diamox Profilaxe verträgt (Mittel gegen Höhenkrankheit) und es Moskitos eh nur noch im ersten Camp gibt. Danach wird es zu hoch und zu kalt für Moskitos. Auch wenn die Empfehlung gegen jeglichen ärztlichen Rat verstößt, entschließe ich mich für „When in Rome,…“ und tausche ab sofort Malerex gegen Diamox. Eine weitere starke Empfehlung der Reiseorganisation und meine einzige Ausnahme in Punkto Leihausrüstung sind die Camping Toiletten! Es gibt zwar „Long-Drop“-Toiletten in den Camps, doch die sind laut Guide in mangelhaftem Zustand und so schließen wir uns als Gruppe zusammen und mieten drei Camping Toiletten, samt Porter. Ein bisschen Luxus muss sein.

 

Die Gruppe

Unsere Gruppe besteht aus 11 Leuten. Einige Engländer, Kanadier, Amerikaner, eine Australierin und ich. Die Altersspanne ist zwischen 27 und 67, alle sehen soweit fit aus. In etwa Dreiviertel der Gruppe hat zumindest ein bisschen Wandererfahrung. Ein Mitreisender hat weder Wandererfahrung, noch hat er jemals in einem Zelt geschlafen. Ich bin beeindruckt von seinem Mut und seiner Offenheit sich aus seiner Komfort-Zone hinauszuwagen. Gleichzeitig grenzt es für mich auch etwas an Wahnsinn :D

 

Die Zelte

Acht Leute teilen sich Zelte auf der Tour, die anderen drei haben Einzelzelte gebucht. Normalerweise würde ich bei Zeltreisen immer ein Einzelzelt bevorzugen, da 4qm mit einem unbekannten Menschen dann doch wirklich SEHR klein sind. Da aber bis zu -20 Grad auf uns warten und ein Zelt nun mal wärmer ist wenn zwei Menschen darin schlafen als einer, habe ich mich für ein Zweier-Zelt entschieden und teile mit einer 61 jährigen Russin, die von den Inseln Nahe Japans stammt und nun in Kanada lebt. Zum Glück verstehen wir uns auf Anhieb sehr gut.

 

Etappe 1: Mri Mkubwa Camp, 2.600m

Nach drei Stunden Busfahrt im engen Van kommen wir am Lemosho Gate an. Eine Traube an Portern mit G Adventures Leibchen umringt den Bus, um unseren ganzen Krempel zu entladen. Hier lernen wir unsere fünf Tour Guides kennen. Wie wir erfahren, macht GAdventures eine Überbesetzung an Tour Guides um abzupuffern, dass Reisende abbrechen und zurückbegleitet werden müssen und auch um in der Nacht der Gipfelbesteigung gewährleisten zu können, dass alle in ihrem eigenen Tempo gehen können und keiner schneller gehen muss, als er eigentlich kann, und auch keiner langsamer gehen muss und riskiert kalt zu werden. Nun ist mir klar warum die GAdventures Tour um einiges teurer war als die der meisten anderen Reiseanbieter.

 

Nach einem kurzen Mittagessen starten wir die Wanderung auf 2.100m Höhe und steigen auf rund 2.600m ins Mri Mkubwa Camp auf. Die Strecke geht durch den Regenwald und die Temperaturen schwanken ziemlich. Wer sich für kurze Hosen entschlossen hat, muss hier etwas leiden, da es auf der Höhe noch reichlich Moskitos gibt. Ein Mitreisender sieht aus, als ob er die Masern hat, so verstochen ist er am Ende des Tages.

 

Der Wanderweg ist flach und links und rechts mit Ästen bzw. dünnen Baumstämmen abgegrenzt. Andere Gruppen sieht man hier eher nicht, wegen des dichten Waldes. Wir sind auch verhältnismäßig spät gestartet, so um 14h, d.h. die meisten Gruppen sind auch schon weg. Unterwegs werden wir von Portern überholt, die Zelte, Lebensmittel, Kochutensilien und Camping Toiletten ;) hochtragen. Wir gehen extrem langsam, was mich etwas nervt, da wir ja noch in geringer Höhe sind und man da ruhig ein bisschen schneller gehen kann. Aber gut, ich übe mich in Geduld. Unterwegs sehen wir Blue Monkeys und Collabus Monkeys.

 

Bei unserer Ankunft im Mri Mkubwa Camp machen wir erstmal ein Foto mit dem Camp Sign. Die stehen hier in jedem Camp und zeigen Höhe und Art des Terrains an, sowie auch die Wanderdauer bis zu den nächsten Camps. Außerdem müssen wir uns bei jeder Camp-Erreichung im Camp Office melden. Warum, weiß ich nicht genau. Denn verlorengehen kann man hier nicht, da man ohne Bergwanderführer nicht durch den Nationalpark darf. Aber gut, sei’s drum, so fühlt es sich ein bisschen wie Schnitzeljagd an ;)

 

Das Camp ist mitten im Wald gelegen und obwohl viele Zelte aufgestellt sind, verläuft es sich ganz gut und es ist auch ziemlich ruhig. Unsere gelben Zelte sind rechts in einer hübschen Lichtung aufgestellt. Wir bekommen jeder eine Schüssel mit warmen Wasser gebracht, damit wir uns Waschen können. Duschen und fließend Wasser wird es die nächsten acht Tage bis zur Rückkehr im Hotel in Moshi nicht mehr geben. Das heißt „Washi Washi“ wird morgens und abends unser neuer bester Freund, um ein bisschen Körperpflege zu betreiben. Auch Strom werden wir keinen haben. D.h. für das Aufladen von Kamera, Handy und Stirnlampe ist man auf seine Powerbank und Ersatzakkus angewiesen.

 

Was ebenfalls zur neuen Routine gehört, sind Gesundheits-Check-ups zwei Mal täglich. Hier messen die Tour Guides unsere Sauerstoffgehalt im Blut, unsere Herzschlagrate und wir beantworten Fragen zu unserem Wohlbefinden. Im Wesentlichen, ob wir Kopfschmerzen haben, Magenprobleme, etc., und ob wir Medikamente einnehmen und wie wir uns auf einer Skala von 1 bis 10 fühlen. Das Ganze wird in öffentlicher Runde gemacht, was spätestens ab dem ersten verdorbenen Magen in der Truppe schnell - sagen wir mal - zur familiären Atmosphäre beiträgt :D 

 

Nach dem Abendessen und Briefing für den zweiten Tag rennen alle um 20:30h ins Bett. Ich bin etwas enttäuscht, da ich wiedermal darauf gehofft habe, dass wir noch eine Runde Karten spielen oder noch etwas zusammensitzen und quatschen. Aber ok, wir haben ja noch viel vor in den nächsten Tagen. Dann verroll ich mich mal in meinen Schlafsack. Bis zum Wake-up Call am nächsten morgen um 6:00h habe ich wunderbar ausgeschlafen. Nachts hört man draußen Hyroxe rufen. Eine Art lokales Murmeltier. Auch Affen laufen herum, die nach Essensresten im Camps suchen.

 

Etappe 2: Shira Camp 1, 3.610m


Der Tag beginnt gleich mit einem Highlight. Kurz nach dem Wake-up Call kommt unser Kellner Santa (der meist-gefragteste aller G-Fighter) und sein kleiner Helfer Michael zu uns ans Zelt, um uns Kaffee, Tee oder Kakao zu bringen. Was für ein großartiges Gefühl - wenn man noch im Schlafsack dahockt und erstmal eine duftende Tasse Kaffee in die Hand gedrückt bekommt. So kann der Tag doch starten! Nach Washi Washi, Gesundheits-Check und Frühstück mit dubiosem „Fingermillet Porridge“ geht es um 8:20h auf zur zweiten Etappe, ins Shira Camp 1 auf 3.610m.

 

Die erste Stunde wandern wir noch durch den Regenwald. Danach erreichen wir die Waldgrenze und wandern ins Moorland. Unterwegs bin ich leicht genervt, da wir heute so langsam laufen, dass sich alle auf der Pelle hocken und es immer wieder zu „Stop and Go“ Situationen kommt. Bei slow und steady bin ich ja noch dabei. Aber bei ständigem unerklärlichen Stoppen wenn man mitten im Tritt ist, bin ich weniger erfreut. Na gut, über den Tag hinweg lockert sich das etwas.

 

Das Moorland sieht nicht so aus, wie man es sich spontan vorstellen würde. Kein Sumpf, keine Feuchtigkeit. Stattdessen pralle Sonne und von der Vegetation her dichte, menschengroße Büsche. Ab und zu hört man exotische Geräusche, primär von Vögeln. Affen gibt es hier keine mehr.

 

Mittags erreichen wir ein kleines Plateau, auf dem wir pausieren und Kaffee und Kekse bekommen und unsere Wasserflaschen auffüllen können. Wir haben den Auftrag bekommen jeden Tag mindesten 3L Wasser zu trinken, da es hilft Höhenkrankheit vorzubeugen. Außerdem wird dadurch das Blut etwas flüssiger, was bei der Höhe ebenfalls gut ist. Denn je höher man kommt, desto zähflüssiger wird das Blut.

 

Die „Bushi Bushi“ Toiletten hier sind leider nicht so schön natürlich, wie z.B. in Grönland oder in der Schweiz. Einer der Nachteile von festen und viel frequentierten Wanderwegen. Da, wo man sich gut hinter einen Busch hocken kann, haben sich halt auch schon tausend andere hingehockt und so erinnert es dann doch etwas an eine öffentlich (Outdoor-)Toilette. Zumal die Reisenden ihr Papier hinterlassen, was der Optik nicht zuträglich ist. In Grönland hatten wir dafür Plastiktüten bekommen, damit wir nichts als Fußabdrücke hinterlassen, wie es so schön heißt. Das gilt hier eindeutig nicht.

 

Nachmittags laufen wir den s.g. Elefant Back hoch. Ein Bergkamm, der besonders steil sein soll. Sonderlich steil finde ich es nicht. Es geht eben hoch. Aber da wollen wir ja auch hin. Wie unser Bergwanderführer von der Haute Route schon sagte: Wer hoch will, muss halt aufsteigen. Der Weg besteht aus mit Steinen gefestigten Tritten und Stufen, also alles sehr sicher und gut zu laufen.

 

Wir steigen bis auf 3.750m hoch. Von hier aus sieht man zum ersten mal den Kilimanjaro frei vor sich stehen, so wie auch unser Camp für die Nacht. Unsere Porter, auch genannt „G-Fighter“, kommen uns schon entgegen, um uns unsere Tagesrucksäcke für die letzten Meter abzunehmen. Es ist 14:30h als wir ankommen. Die Sonne scheint und wir haben freien Blick in die Weite. Kein Baum oder Strauch, der die Sicht versperrt, nur noch kniehohe Büsche und Sträucher. Vor mir thront unser Ziel. Er wirkt riesig und unerreichbar weit weg.

 

Kilimanjaro ist genau genommen nicht nur ein Berg, sondern eine Fläche aus drei Vulkanen. Bei der ersten Eruption ist der Mount Shira und das Shira Plateau entstanden. Bei der zweiten Eruption ist der Mount Mewesi entstanden. Kurz danach folgte die dritte und bisher letzte Eruption, aus der Mount Kibo entstanden ist, der im allgemeinen Sprachgebrauch als DER Kilimanjaro beschrieben wird. 

 

Ich gehe noch eine Runde spazieren bei dem schönen Wetter und sehe Porter mit Wasserkanistern losziehen. Ich gehe davon aus, dass in der Nähe ein Fluss sein muss und laufe in die gleiche Richtung. Wie sich schnell herausstellt ist der Fluss mehrere Kilometer weit weg. Hier wird mir noch mal bewusster denn je, wie hart die Porter-Arbeit ist. Sie geht weit über das Tragen von Gepäckstücken und Zelten hinaus. Die Porter sind die ersten, die aufstehen und die letzten, die ins Bett gehen. Ihre Unterbringung ist bescheiden. Sie teilen sich allesamt ein Gemeinschaftszelt und Washi Washi gibt es für sie sicherlich nicht.

 

Um 17:00h treffen wir uns alle und die Tour Guides stellen uns das ganze Porter bzw. G-Fighter Team vor. Anstatt eine schnöde Vorstellungsrunde zu machen, bilden sie einen großen Kreis und singen fast eine Stunde lang verschiedenste Lieder für uns. Es gibt eine Art Lead Sänger, der den Song einstimmt und überleitet und alle anderen stimmen im Chor ein. Es ist wunderschön! Wie sich herausstellt, haben sie um uns 11 Touris auf den Kibo hochzubringen, ein Team von 36 G-Fightern und 5 Tour Guides zusammengestellt. Also insgesamt ein Support Team von 41 Leuten. Was für ein Unterfangen! Kurz überlege ich, ob das nicht totaler Wahnsinn ist und ich mich etwas schämen sollte, dass wegen unseres Adventure Bedürfnisses und Selbstverwirklichungsdrangs (#firstworldproblems) so ein riesen Aufriss gemacht wird. Gleichzeitig denke ich mir, schafft es aber auch Arbeitsplätze. Die Jobs sind hart, aber sie scheinen verhältnismäßig gut bezahlt zu werden und sie bringen Anerkennung in der Gesellschaft. So gesehen, leisten wir auch einen positiven Beitrag.

 

Wir haben wundervolle Abendsonne auf dem Kibo. Sobald die Sonne jedoch verschwindet, wird es eiskalt und man muss schnell von T-Shirt auf Daunenjacke umschwenken. Nachts haben wir bereits die ersten Minusgrade.

 

Etappe 3: Shira Camp 2, 3.880m

 

Als ich früh von Santa mit einer Tasse Kaffee geweckt werde, ist vor dem Zelt Frost auf den Gräsern und Büschen zu sehen. Auch unser Zelt ist von außen vereist. Scheinbar haben wir nachts im Zelt so viel Wärme generiert, dass es in Kombi mit der Kälte draußen kondensiert ist und unsere Schlafsäcke nun nass sind. Vor allem für meinen Daunenschlafsack ist das blöd, denn nasse Daune wärmt nicht. Wir versuchen die Schlafsäcke in der Morgensonne zu trocknen. Ab sofort lassen wir ein kleines Netz an der Zelt-Decke offen, damit Luft zirkulieren kann. 

 

Mit den gewohnten 20 Minuten Verspätung brechen wir 8:20h pole, pole (langsam, langsam) zum Shira Camp 2 auf. Heute ist der Weg als solcher flach, aber dafür etwas länger in der Distanz im Vergleich zum Vortag. Mit dem Kilimanjaro stets im Blick nähern wir uns unserem Ziel. Uhuru - der Name der Gipfelspitze - bedeutet übrigens Freiheit. Diesen Namen trägt sie seit 1961, um Tansanias damals neu gewonnene Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft zu symbolisieren. Nach fünf Stunden Wandern erreichen wir um 13:20h auf 3.880m das Shira Camp 2. Nach dem obligatorischen Foto am Camp Sign und dem Einschreiben ins Büchlein, gibt es Mittagessen und Pause bis 16h, bevor es zu einem kleinen Aklimatisierungsspaziergang auf 4.100m hochgehen soll. Ich bin leicht beunruhigt, weil ich das erste mal Kopfschmerzen habe und wir eigentlich auf noch keiner bedenklichen Höhe sind. Morgen soll es auf 4.600m zum Lava Tower hochgehen. Das macht mit Sorgen. Nach einer IBU geht es allerdings gleich viel besser.

 

Meine Zimmergefährtin kämpft mit der Höhe. Ihre Sauerstoffsättigung ist sehr gering (74%) und man merkt ihr an, dass es ihr nicht gut geht. Sie wollte die Tour eigentlich ohne Hilfe durch Diamox durchziehen, aber es führt wohl kein Weg daran vorbei, wenn sie weiter machen möchte. Meine Werte sind soweit tip top. 95% Sauerstoffsättigung und eine Herzschlagrate von 61. Der Tour Guide macht sich schon drüber lustig, dass es wie Meereshöhe für meinen Körper zu sein scheint.

 

Der Akklimatisierungsspaziergang geht besser als erwartet und anschließend werden wir mit einem wunderschönen Sonnenuntergang über dem Shira Plateau und mit einem rötlich gefärbtem Kibu belohnt. Unser Camp liegt heute leider direkt hinter den öffentlichen Toiletten und der Wind bläst den Geruch voll in unsere Richtung. Was für ein Segen, dass wir die Camping Toiletten gemietet haben. Die Zelte weiter unten im Camp haben es aber auch nicht viel besser. Bei ihnen zieht ein Dust-Devil nach dem nächsten durch und alles ist in Staub gehüllt. Überhaupt ist es inzwischen unglaublich staubig. Wir sind von der Vegetation her an der Grenze zur alpinen Wüste. Hier gibt es fast keine Pflanzen mehr, nur Disteln, Steine und viel viel Staub. Unsere G Fighter bieten ab sofort den Sonderservice an, dass sie unsere Gamaschen und Stiefel abstauben, damit wir nicht unsere Zelte total versauen.

 

Etappe 4: Lava Tower (4.600m) und Baranco Camp, 3.900m

 

Heute geht es das erste mal richtig in die Höhe. Ich habe etwas Muffensausen vor der Etappe hoch zum Lava Tower, der auf 4.600m liegt. Es wird eine Akklimatisierungs-Wanderung. Zum Glück geht die Wanderung von der körperlichen Verfassung her erstaunlich gut. Was mich jedoch extrem nervt - sogar richtig ärgert - ist, dass wir heute wirklich wie ein Tatzelwurm mit hunderten von anderen Leuten auf der Route wandern. Es ist der Highway to Kilimanjaro. Zugegebenermaßen führen auf dieser Etappe die Lemosho Route und die Machame Route zusammen und somit sind es automatisch mehr Leute. Aber wie den Auszug aus Jerusalem hatte ich mir das hier wirklich nicht vorgestellt. Das Moorland haben wir gegen Alpine Wüste getauscht und in der Lava-Gesteinslandschaft gibt es nicht mal Sträucher, die zumindest einen Teil der Leute verdecken könnten. Es ist mir alles zu wuselig und zu viel und ich habe auch keine Lust mehr ständig freundlich Jambo zu sagen wenn jemand an uns vorbeiläuft oder wir jemanden bei der Pause überholen. Ich stänkere schweigend vor mich hin und mampfe wortlos meine Möchtegern-British-Shortbread-Kekse in der Pause. Man muss auch mal schlechte Laune haben dürfen.

 

Nach der kurzen Pause geht es weiter und um 13.25h erreichen wir endlich den Lava Tower. Auf dem letzten Abschnitt beginnt es schon zu hageln. Bis wir oben ankommen sind, ist alles dick verschneit. Die Lava Formation ist im dichten Nebel verhüllt. Hier oben haben alle Truppen ihre Zelt fürs Mittagessen aufgebaut, damit der Körper etwas Zeit hat sich wirklich an die Höhe zu gewöhnen, bevor es danach wieder zum Abstieg ins Baranco Camp geht. Bis wir aufbrechen sind die meisten anderen Gruppen schon weg. Unsere Gruppe läuft wieder sehr langsam, da viele in der Gruppe keine gute Trittsicherheit haben - vor allem bei Schnee. Mir wird dabei ziemlich kalt, obwohl ich vier Schichten an Oberteilen trage. An der Stelle hätte ich es schön gefunden, wenn die fünf Tour Guides unsere Gruppe geteilt hätten, sodass die Flotteren vorgehen und sich warm halten können, während die anderen ohne gedrängt zu werden in Ruhe absteigen können.

 

Aber irgendwann ist das Gröbste geschafft. Es hört auf zu schneien und je tiefer wir kommen desto wärmer wird es wieder. Zu unserer linken wabern die Wolken und langsam aber sicher kommt ein riesiger Berg direkt neben uns zum Vorschein. Das ist er. Der Kibo. Zum ersten mal so richtig nah. Um genau zu sein ist es die Baranco Wall, die wir sehen. Nach den Strapazen des heutigen Tages ist das schon ein toller und belohnender Moment. Dann weiß man wieder wofür man es macht.  Je tiefer wir kommen, desto grüner wird es auch wieder. Es ist schon beeindruckend wie schnell und deutlich sich die Vegetation verändert mit nur wenigen 100 Metern Höhenunterschied. Kurz darauf sind wir von einer Palmen-Alle umgeben. Als wenn die Palmen Spalier stehen würden, schreiten wir hindurch unserem Camp entgegen, welches wunderschön auf dem abfallenden Berg Plateau vor uns in der Sonne liegt. Eigentlich sind die Zelte ja total einfach und klein. Aber irgendwie liebe ich den Anblick der bunten Punkte in der sonst steinig-staubigen, grauen Umgebung.

 

Etappe 5: Baranco Wall (4.200m) und Karanga Camp, 4.000m

 

Ich hab mies geschlafen, obwohl ich doch eigentlich so müde nach der langen Tour gestern war. Hauptsächlich wegen der Kälte. Eindeutig muss ich nachts mehr Klamotten-Schichten anziehen. Dabei ist doch heute eine wichtige und vor allem schöne Etappe! Wir steigen die Baranco Wall hoch. Die Nicht-Wanderer unter uns haben ihre Bedenken. Ich hingegen freue mich sehr, da es zum ersten mal richtig spannendes Gelände ist.

 

Wir brechen zur gewohnten Zeit auf. Die Baranco Wall ist eine Steinwand und geht sehr steil hinauf. Wir brauchen unsere Hände, um uns bei den hohen Tritten hochzuziehen und um uns an den schmalen Wegen festzuhalten. Überholen ist hier an der Wand schwierig, weil es wirklich sehr schmal ist. Daher kommen auch die Porter nicht gut an uns vorbei und müssen teilweise abenteuerliche, alternative Aufstiege wählen. Sie tragen ihre Ladung auf dem Kopf und dem Nacken gestützt hoch. Ich weiß gar nicht wie sie da noch gleichzeitig schauen können wo sie hintreten müssen und das Gleichgewicht halten können. Irgendwann kommen wir zur berühmt-berüchtigten Kissing Wall. Diese wurde zahlreich auf YouTube zeigt. Hier ist es kurz so schmal, dass man seitlich gehen und den Felsen quasi umarmen muss, um nicht runterzufallen. Mir gefällt der Nervenkitzel sehr gut :) Auf 4.200m ist es geschafft. Wir haben die Wand erklommen und werden mit traumschönen Ausblick aufs Tal, den Mount Meru und natürlich auf den Kibo hinter uns belohnt. Ich bin glücklich! Wir machen viele schöne Fotos und ziehen daraufhin zum Abstieg weiter, Richtung Karanga Camp, welches auf 4.000m liegt.

 

Der Abstieg ist zunächst einfach, irgendwann wird es aber unglaublich rutschig, weil es nur noch dicken Staub und kleine Kieselsteinchen auf dem Weg gibt. Der ein oder andere legt sich lang und ist über und über in Staub bedeckt. Eigentlich ist man auch ohne hinzufallen von oben bis unten voller Staub. Ich glaube ich hab kein Kleidungsstück mehr, das nicht mariniert ist :D

 

Unterwegs kommen wir auch an einem toten Busch-Stück vorbei. Hier hatte es vor wenigen Jahren einen Brand gegeben. Vermutlich eine weggeworfene Zigarette. Faszinierend, dass manche Leute sich so einer anstrengender Tour stellen, bei der einem mehr denn je klar wird wie wichtig es ist, gut mit seinem Körper umzugehen, und dann trotzdem ihre Lungen vollschmauchen. Im ganzen Nationalpark ist übrigens Rauchverbot.

 

Nach dem Abstieg kommt noch mal ein letzter Anstieg. Dann ist die Tagesetappe geschafft, wir sind im Karanga Camp. Das Camp verläuft quasi in Schräglage, bergaufwärts (oder abwärts, wie man es sieht). Dadurch sind auch die Zeltplätze meist etwas im Gefälle. Vom Tal her braust der Wind über die Rippen hier kanalisiert hoch und ist ganz schön zackig. Zum Glück ist Natashas und mein Zelt quer zum Wind gestellt und etwas hinter dem Gruppenzelt versteckt. So knallt es uns die Böen samt Staub zum Glück nicht direkt ins Zelt.

 

Wir sind so zeitig hier, dass ich draußen vor den Zelten in Windjacken gehüllt auf einem Stein sitzen und den Ausblick genießen kann. Endlich ist es mal ruhig und nicht wuselig. Alle scheinen in ihren Zelten zu liegen und Schlaf nachzuholen. Ich höre nur den Wind brausen und kann zum ersten Mal richtig genießen hier in der kargen Höhe zu sein. Plötzlich höre ich ein grummeln, was mir aus Grönland bekannt vor kommt. Ich drehe mich zum Kibo um und sehe wie eine Lawine den Berg runterrauscht. Der Schnee wird zu einer wuchtigen Wolke und verpulvert schließlich am Berghang. Genau dort liegt die Route, die erst vor kurzem gesperrt wurde auf Grund der erhöhten Lawinengefahr. Es ist alles sehr eindrucksvoll und ich bin glücklich hier zu sein und all das sehen und spüren zu dürfen. Es war ein rundum schöner und erfüllender Tag. Karanga ist offiziell mein Lieblingscamp. Nun ist es auch für mich Zeit ein Nickerchen zu machen.

 

Interessanterweise macht sich der Dreck und die Höhe  auch an der Haut bemerkbar. Ich hatte mir am zweiten Tag ein Stück Haut an der Hand abgeschürft. Nichts Spektakuläres, aber es will par tout nicht abheilen. Auch meine Haut im Gesicht wird von Tag zu Tag unruhiger. Dabei versuch ich das Beste aus jedem Washi Washi rauszuholen. Aber der Staub zieht einfach überall rein, auch in jedes Handtuch und auch die Finger sind nicht mehr sauber zu kriegen.

 

Etappe 6: Barafu Camp (Base Camp, 4.673m) und die Vorbereitung auf die Nacht der Nächte

 

Heute Nacht habe ich mich eingewickelt wie eine Mumie, damit ich auch ja nicht wieder friere. Tatsächlich ist die Rechnung aufgegangen. Ich bin warm geblieben und mit Hilfe von Melantonin Gummibärchen eines Mitreisenden, habe ich insgesamt sehr gut geschlafen. Wobei ich den verfügbaren Raum meines Schlafsacks auch echt ausgekostet habe. Sich da noch auf die Seite zu drehen war schon eine Kunst für sich.

 

Wir steigen heute 700m in das lang ersehnte Base Camp hoch - Barafu Camp. Der Hike dauert ca 4,5 Stunden und läuft gut. Zu meiner großen Freude habe ich keine Probleme mehr mit der Höhe und komme motiviert und ziemlich happy im Camp an. Der Kibo ist nun so richtig nah. Zum ersten Mal wirkt er wirklich greifbar. Selbst gestern wirkte er noch weit entfernt. 

 

Wir haben unser Zelt Camp mitten zwischen Felsen. Was es windgeschützt wirken lässt (ist es aber nicht) und abgelegen. In der Entfernung sehen wir auch zum ersten Mal groß und klar den Mount Mewesi. Das ist der zweite Vulkan der damals im Kilimanjaro Gebirge ausgebrochen bzw. entstanden ist. Wir essen zu Mittag leckere Empanadas, danach gibt es das Briefing für heute Abend. Denn heute ist die große Nacht der Nächte!

 

Um Mitternacht soll es zur Summit-Besteigung losgehen, sodass wir hoffentlich zum Sonnenaufgang oben sind. Der Tour Guide macht uns keine Illusionen von wegen „Ihr schafft das schon, macht euch keine Sorgen“. Stattdessen gibt es Klartext: Es wird sau anstrengend, stellt euch mental darauf ein. Von der körperlichen Physis her könnt ihr das alle stemmen. Das was aber entscheiden wird, ob ihr oben ankommt oder nicht, ist das was zwischen euren Ohren passiert. Das Mind-Set ist ausschlaggebend, eure mentale Stärke.

 

Zwischen 2:00am und 4:00am soll die Nacht am kältesten sein - das wird der härteste Teil beim Aufstieg. Wir sollen uns drauf einstellen, dass unsere Zehen irgendwann taub vor Kälte sind, ebenso wie unsere Finger. Auch Kopfschmerzen und Übelkeit gehören zu den üblichen Herausforderungen beim Aufstieg. Manche schlafen während des Gehens ein oder erleben Gleichgewichtsstörungen und fangen das Taumeln an. Wir sollen alles an Medikamenten einpacken, was wir haben und sobald Symptome auftreten anfangen etwas zu nehmen, da der Körper in der Höhe mehr Zeit braucht, um die Wirkstoffe aufzunehmen. Fragen wie „Wie weit ist es noch“ oder „Wie lange dauert es noch“ werden nicht beantwortet werden, da sie nur demotivieren. Stell dir vor du kämpfst mit deinen Kräften und dann sagt dir jemand, dass noch vier Stunden steiler Aufstieg vor die liegen. Das hilft wirklich keinem. Neben den fünf Tour Guides kommen noch sechs Porter mit, sodass jeder in der Gruppe eine Einzelbetreuung haben kann, falls nötig. Auch wenn ich heute früh eine 10/10 auf der Wohlbefinden-Skala gegeben habe, ist mir nun doch leicht mulmig.

 

Es ist erst mittags, doch wir legen uns noch mal alle zwei Stunden hin, bevor es um 17:30h Dinner gibt. Früher als sonst, damit der Körper Zeit hat alle Kohlenhydrate zu verstoffwechseln und für den Aufstieg nachts abrufbereit zu haben. Nachts vor dem Aufstieg wird es nur noch Tee und etwas Popkorn geben (schnell verfügbare Kohlenhydrate), damit der Körper keinen Ballast mit sich rumschleppt. Wir gehen um 19h ins Bett und holen (soweit möglich) noch ein paar Stunden Schlaf vor dem Aufstieg ein. Es stürmt fürchterlich draußen und ich hoffe und bete, dass es sich bis zum Aufstieg beruhigt.

 

Die Summit Besteigung (Nacht von Tag 6 auf Tag 7)

 

Es ist soweit. Um 23 Uhr werden wir also geweckt, damit wir um 12h Mitternacht losgehen. Uns erwarten rund sieben Stunden Aufstieg. Sechs Stunden bis zum Stella Point und noch mal eine bis zum Uhuru Peak. Der Stella Point ist in sofern ein wichtiger Meilenstein, weil er die erste Kante des Vulkankraters ist von unserem Trekk aus. Wer es bis hier her geschafft hat, hat den schlimmsten Teil geschafft. Von dort aus sind es noch 150 Höhenmeter, die man entlang des Vulkankraters peu a peu bis zum Uhuru Peak entlang aufsteigt. Ich bin in alles eingehüllt was ich besitze. Vier Lagen an Hosen, die überraschenderweise wirklich übereinander passen (Merino Wollhose, Fleece Hose, Wanderhose und Windhose) und sechs Schichten an Oberteilen (2x Longsleeve, 1x T-shirt, Fleecejacke, Daunenjacke und Windjacke). Dazu zwei Buffs (1x normal, 1x Polar), eine Wollmütze und eine Stirnlampe. Zwei Paar Socken haben leider nicht in meine Schuhe gepasst, daher muss ein Paar ausreichen. Außerdem noch Merino-gefütterte Handschuhe.

 

Kurz vor Mitternacht holen wir noch mal warme Getränke und dann geht es los. Eine Mitreisende wird kurzfristig von der Summit Besteigung ausgeschlossen, da sie schlimmen Husten hat und der Tour Guide fürchtet, dass sie Wasser in der Lunge hat. Wir gehen zum Startpunkt hoch und es ist schon ein Tatzelwurm an Leuten mit Lichtern auf dem Pfad zu sehen. Auch nachdem wir etwas Höhe gewonnen haben sieht man, dass hinter uns ein Kette an Lichtern entlang führt. So sehr es mich in der 4. Etappe auch gestört hat, diesmal empfinde ich es als absolut wunderschön. Die Lämpchen erzeugen irgendwie eine magische Stimmung bei der Dunkelheit. Alle haben ein Ziel und wie ein Martinszug streben wir diesem alle Schritt für Schritt entgegen. Ich schaue in die Ferne und sehe links von mir unten im Tal Moshi leuchten. Daneben, etwas weiter weg, leuchtet noch eine weitere Stadt, das müsste Boma Ng‘ombe sein. Der Himmel ist glasklar und voller Sterne, keine Wolke weit und breit. Für einen Augenblick wirkt es so, als ob wir auf Augenhöhe mit den Sternen sind. So nah wirken sie. Es ist absolut windstill. Es fühlt sich an, als ob ich aufs Dach der Welt steige.

 

Es geht viele viele Serpentinen den Berg hinauf. Wie gut, dass wir den Weg bei der Dunkelheit nicht wirklich sehen! Erst später beim Abstieg sehe ich wie grausam unendlich die Strecke wirkt, wenn man sie bei Tageslicht sieht. Am Anfang des Aufstiegs geht es mir super, 10 out of 10. Nach einiger Zeit fangen unsere Porter und Guides an zu singen, was einen riesen Motivationsschub gibt in der Dunkelheit und bei all der Müdigkeit, die uns in den Knochen steckt. Ich glaube auch alle Gruppen um uns herum haben dankbar von diesem Chor profitiert. Um mich herum sehe ich bereits die ersten Total-Ausfälle. Eine Frau läuft quasi im rechten Winkel gebeugt und japst nach Luft. Eine andere Frau wird von ihrem Guide motivierend angeschrien und mit der Taschenlampe angeleuchtet „Don‚t fall asleep. Stay awake, stay awake“. Ich hätte es nicht für möglich gehalten aber Menschen können tatsächlich beim Wandern einschlafen und trotzdem noch vor sich hintapsen. Ein Mann übergibt sich. 

 

Wir halten die Pausen so kurz wie möglich, da man sobald man stehen bleibt sofort kalt wird. Bis inklusive der zweiten Pause geht es noch gut bei mir. Ich schätze wir sind seit ca drei Stunden am Wandern. Eine Uhr habe ich jedoch nicht und will es auch gar nicht wissen. Nachdem wir wieder loslaufen fragt mich der Lead Guide wie es mir geht - ich sage noch voller Überzeugung „Good, 10 out of 10“. Jedoch keine 5 Minuten später muss ich mich korrigieren. Ich glaube mir wird schlecht. Kaum gesagt fang ich schon das Husten und Würgen an. Wie gut, dass ich high quality Wanderstöcke habe, auf die ich mich wie auf Krücken aufstützen kann. So versaut man sich auch nicht die Schuhe ;) Während ich gerade noch am Anfang der Gruppe gelaufen bin, muss ich mich nun nach hinten fallen lassen. Der Lead Guide bleibt bei mir. Als wir am dritten Pausenpunkt wieder auf die Gruppe stoßen und ich mich abermals übergeben muss, beschließt mein Tour Guide, dass wir uns vollständig von den anderen separieren und zu zweit direkt weiterlaufen. Wir ziehen durch und machen auch ansonsten keine Pause mehr. Nur wenn ich mal wieder einen Übelkeits- und Übergebens-Moment habe, halten wir kurz.

 

Irgendwann um 5:30h plötzlich ein Lichtstrahl am Horizont. „Look! Turn around, look!“. Die Sonne geht auf! Das bedeutet die kälteste Zeit der Nacht ist vorbei und ab jetzt wird es nur noch wärmer. Was für ein großartiges Gefühl, auch wenn ich diesem gerade nach Außen keinen Ausdruck geben kann, so fertig bin ich. Um 5:50h pünktlich zum „richtigen Sonnenaufgang“ erreichen wir den Stella Point 5.756m. Ich bin die erste aus der Gruppe. Es ist unbeschreiblich schön. Der Himmel brennt förmlich und die Sonne hüllt den Mount Mewenzi, der inzwischen hinter und unter uns liegt in warmes, oranges Licht. Links von mir kann ich nun in den Krater des Kilimanjaros sehen - eine große Kuhle aus tiefschwarzem Lavagestein und makellosem Schnee. Die Sonne zaubert rosa Lichteffekte auf den Schnee. Ganz zarte Schleierwolken thronen ebenfalls rosafarben über dem Krater. Ich bin so erschöpft. Ich kann nicht mal mehr selber mein Handy rausholen, um ein Foto zu machen. Das macht also alles mein Tour Guide Emmanuel. Er unzippt meine 1000 Jacken, puhlt mein Handy aus der inneren Jackentasche und macht Fotos vom Sonnenaufgang für mich, während ich einfach nur dastehe und existiere. Auch meine Kamera holt er aus meinem Rucksack raus. Die Batterien, die ich zum Schutz vor der Kälte ebenfalls in die innere Jackentasche gesteckt habe holt er raus und hält mir alles so hin, dass ich die Batterie nur noch einschieben muss und dann selber ein Foto machen kann. Er weiß ja inzwischen wie sehr ich es liebe zu fotografieren. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich diese Form der Erschöpfung anfühlt. Mein Kopf ist total klar, aber der Körper ist in so einem Ausnahmezustand, dass er nur mit Mühe umsetzen kann, was der Kopf gerne möchte. Alles ist wie in Zeitlupe.

 

Dann geht es weiter zum Uhuru Peak. Es ist nicht mehr weit, nur noch eine knappe Stunde. Auf dem Weg treffen wir einige Leute, die das Handtuch schmeißen wollen. Ich versuche ihnen Mut zuzusprechen, aber später auf dem Peak sehe ich keinen von ihnen wieder. Oben auf dem Peak angekommen, geht es direkt zum ersehnten Summit Sign, um das Siegesfoto zu schießen. Ich bin so stolz und erleichtert. Ein großartiges Gefühl. Es ist es noch ziemlich leer, wodurch ich den Moment in vollen Zügen genießen kann. Die ganzen Gruppen sind noch beim Aufstieg. Es ist ein wundervoller Blick in den Krater. Die Sonnte strahlt und es ist weiterhin windstill.

 

Plötzlich kommt Unruhe auf. Ein Chinese und ein Taiwanese kommen sich in die Haare, wer als erstes dran ist sein Foto zu machen. Die Situation eskaliert und sie prügeln sich! Hier oben, auf 5.895m! Und ich stehe definitiv zu nah am Kraterrand dafür. Also nichts wie weg von der Kante und die Tour Guides die Situation klären lassen. Der Rest unserer Gruppe soll angeblich gleich kommen. Also bleibe ich noch mit Emmanuel oben bis sie da sind. Letztlich sind das noch 45 Minuten! 45 Minuten, die ich in vollen Zügen genieße. Es ist außergewöhnlich, dass ich so viel Zeit hier oben verbringen kann. Nur wegen des guten Wetters und weil mein Körper so tüchtig mitmacht, kann ich so lange hier oben bleiben. Es ist wunderschön. Als alle da sind machen wir noch mal ein Gruppenfoto am Gipfel und dann heißt es Absteigen.

 

Nun wo die Sonne draußen ist, wird es schnell heiß beim Abmarsch. Die ersten Klamottenschichten werden abgelegt und dann heißt es Express-Abstieg über die Kiesel-Piste, links von unserem Aufstiegsweg. Man kann hier über die Hacken richtig gut runter surfen bzw gleiten. Nun bin ich mit Junior, einem anderen Tour Guide zu zweit unterwegs. Er besteht drauf mich unterzuhaken, da er mich so ziehen kann und wir schneller runterkommen. Mir soll’s recht sein, ab jetzt ist mir alles egal. Meine Klamotten sehen aus wie sau, alles ist staubig. Aber auch das ist mir nun völlig egal. Nach einer langen Etappe begrüßen uns einige Porter. Sie haben Cola für uns als Belohnung dabei! Dann werde ich gleich doppelt untergehakt, was sich nun doch ein bisschen komisch anfühlt. Aber ich lasse einfach den anhaltenden Endorphinrausch wirken und mache es brav mit. Nun sieht man unser Base Camp von oben. Ein einmaliger Blick. Erst hier wird mir bewusst wie karg unsere Umgebung auf diese Höhe inzwischen ist.

 

Zurück im Camp gibt es Mittagessen und 1,5 Stunden um auszuruhen und Taschen zu packen, bevor wir um 13:30 Uhr schon wieder aufbrechen müssen. Wir müssen ins Mweka Camp absteigen, was auf 3.100m liegt. Das bedeutet also insgesamt 2.800m Abstieg innerhalb eines Tages und das nach einer durchzechten Nacht, in der wir 1.150m aufgestiegen sind! Ein wahnsinns Kraftakt. Das bedeutet noch mal ca vier Stunden Wandern. Alle sind extrem müde und somit zieht sich der Weg ungemein. Zurück in Urwald-Vegetation freuen sich alle über Washi Washi und eine kurze Verschnaufpause vor dem Dinner. Das wir heute Kilimanjaro bezwungen haben, müssen wir alle erstmal sacken lassen. So richtig realisiert hat es noch keiner.

 

Etappe 8: Abmarsch

 

Am nächsten Morgen können wir etwas länger schlafen (30min) bevor dann die Trinkgelder eingesammelt und ziemlich unangenehm unter Aufsicht des Tour Guides gezählt werden. Dann gibt es eine kleine Abschiedszeremonie und wir beginnen den 800m langen Abstieg, für den wir drei Stunden eingeplant haben. Wir wandern noch mal durch dicken Regenwald, der wunderschön aussieht, und sehen auch eine endemische Blume, die nach Orchidee für mich aussieht. 

Unten am Mweka Exit Gate angekommen, tragen wir uns ein letztes Mal in das Büchlein ein, machen ein Foto und fahren dann zum Lunch. Anschließend geht es ins ersehnte Hotel wo wir duschen können, bevor es das Debrief gibt und die Zertifikats-Zeremonie, bei der wir die Nationalpark Zertifikate für die Besteigung überreicht bekommen. Danach ein letztes Abschluss-Abendessen in unserer Runde, mit wohlverdientem Kilimanjaro Bier.

 

Fazit

 

In den ersten Tagen mag ich etwas ungeduldig und in Abschnitten etwas unzufrieden mit der Herausforderung gewesen sein. Doch der Summit Tag alleine war die gesamte Tour wert. Die Besteigung ist eine krasse Selbsterfahrung und was mein Körper hier geleistet hat, geht über alles hinaus was ich bisher gemacht habe. Auch auf meine mentale Leistung bin ich stolz. Ein Mitreisender hat mich gefragt, ob ich bei der ganzen Übelkeit und dem ständigen Übergeben nicht ans Umdrehen gedacht habe. Doch tatsächlich stand das zu keinem Zeitpunkt für mich zur Frage.

 

Der Kilimanjaro war nun viele Jahre auf meiner Bucket Liste und ich habe mir mal geschworen, dass ich - wenn ich ihn jemals hochgehen sollte - so fit sein möchte, dass ich jeden Schritt genießen kann und nicht schimpfend und auf dem letzten Loch pfeifend hochkriechen möchte. Das Versprechen konnte ich mir weitestgehend halten. Ja ich habe gekämpft, aber ich habe dennoch jeden Schritt genießen können. Und ein wenig Struggle gehört auch einfach dazu. Wie Emmanuel so schön sagte: if you don‘t struggle coming up this mountain, you have chosen the wrong mountain :) Für mich war es genau der richtiger Berg und genau die richtige Herausforderung. Und das zu genau dem richtigen Zeitpunkt. Ich hätte es nicht früher und nicht später machen wollen.

 

Mal sehen welche Herausforderung ich mir als nächstes aussuche. Vielleicht sollte ich mir den Aconcagua mal näher anschauen. Der höchste Berg Südamerikas… Wir werden sehen. Kommt Zeit, kommt Rat.

 

Übergeordnete Erkenntnisse:

 

Je länger ich reise, desto mehr besondere Begegnungen sammle ich. Manche sind nur kleine Gesten oder kurze Begegnungen. Andere sind ausführliche Gespräche, bei denen unerwartet vermeintlich große Nähe mit einem doch letztlich weitestgehend Fremden entsteht. Ich bin zutiefst berührt wie viel Anteilnahme mein Umfeld zeigt und wie viel Fürsorge mir die Leute entgegenbringen.

 
 
 

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